Ziegelhof

Rheingasse 31 und Rheingasse 33
Fassaden von Rheingasse 31 (mit hellblauen Elementen) und 33 (im Vordergrund) mit der Tordurchfahrt in Haus 33. Rechts das WC-Haus als Überbleibsel des Hauses 35.
Quelle: M. Ackermann
Quelle: M. Ackermann

Ist Ihnen bei einem Spaziergang durch die obere Rheingasse schon einmal das grosse grüne Tor gleich neben dem Arbeitsamt aufgefallen? Der Torbogen - gross genug für eine Kutsche - ist in seiner Art der einzige an der Rheingasse. Eine Kutsche zu unterhalten, konnten sich nur die reichsten Bürger leisten, weshalb man solche grossen Tore vor allem bei vornehmen Häusern (z. B. beim Mentelinhof, Ecke Münsterplatz / Münsterberg) findet.

Das Tor an der Rheingasse 33 wurde aber nicht für Kutschen, sondern für schwere Fuhrwerke gebaut und diente als eine der Zufahrten zu einer regelrechten „Industriezone“ im alten Kleinbasel.

Ein Klosterhof

Zuerst hatten die Gebäude aber eine andere Funktion. Vermutlich nach 1250, sicher aber ab 1363 stand an der Rheingasse 31 ein Hof des Klosters Unterlinden, als kleinbasler Zweigstelle des Colmarer Prediger Ordens zu Unterlinden. Hinter einem Gebäude direkt an der Gasse befanden sich Ställe und ein Garten. Der Hof stiess hinten an den damaligen städtischen Ziegelhof in der Gegend der heutigen Utengasse 32. Im Jahre 1389 ging das Grundstück mit allen Gebäuden „ze einem Erbe“ an den Basler Bürger Martin von Wittisheim und „sin ehliche Wirtin“ über. Mit „Erbe“ war ein Erblehen, eine Art unbefristete und erbliche Pacht gemeint. Die neuen Besitzer mussten 4 Gulden, 6 Schillinge und zwei Kapaune jährlichen Zins nach Colmar zahlen.

Der Ziegelhof kommt zu seinem Namen

Das grosse Erdbeben von 1356 hatte einen Grossbrand in der Stadt ausgelöst, der das Erdbeben an Zerstörungskraft bei weitem übertraf. Diese schreckliche Katastrophe bewog den Stadtrat Bauvorschriften zur Brandverhütung zu erlassen und die Ziegeldeckung der bis dahin hauptsächlich mit Holzschindeln gedeckten Häuser zu fördern.

Um die Ziegeldeckung voranzutreiben erwarb der Stadtrat im Jahre 1404 die Liegenschaft Rheingasse 31 zusammen mit umliegenden Grundstücken, um die städtische Ziegelei zu vergrössern. Das Haus des Klosterhofes wurde zum Haus des Stadtzieglers, was ihm dann auch den Name „Ziegelhof“ einbrachte. Die Ziegelei erstrecke sich von der Rheingasse bis an die Utengasse und von der Rheingasse 31 bis etwa in die Mitte des heutigen Arbeitsamtes. Von diesem grossen Areal ausgenommen waren drei Privathäuser an der heutigen Rheingasse 33 und 35 (letzteres heute nur noch ein WC-Häuschen im Hof des Arbeitsamtes).

1422 verpachtete die Stadt den Ziegelhof an Henman Schaler. Und auf Schaler folgten andere Pächter, die unter Aufsicht der Zunft zu Spinnwettern die Ziegelproduktion im Ziegelhof für die nächsten 270 Jahre fortführten.

Keller Ziegelhof 31
Als Überbleibsel des mittelalterlichen Klosterhofs blieb dieser Keller erhalten. Seine Balken wurden dendrochronologisch auf 1474 datiert.
Quelle: M. Ackermann
Quelle: M. Ackermann

Im Jahre 1474 wurde der Keller im Hinterhaus von Rheingasse 31 entweder neu angelegt oder mit einer neuen Balkendecke ausgestattet. Die damals eingebauten Balken blieben bis 2013 erhalten, wurden dann aber bei der Renovation 2013 - 2016 entfernt.

Innenseite der Tordurchfahrt
Als Zeugnis für den Umbau der Rheingasse 33 (von hier aus gesehen der linke Gebäudeteil) im Jahre 1671 blieb dieser Torbogen unverändert erhalten.
Quelle: M. Ackermann
Quelle: M. Ackermann

Im Jahre 1671 verkaufte der Rat die beiden Privathäuser an der Rheingasse 33 an den damaligen Ziegler Hans Widmer für 200 „Pfund Stebler“ (Münzen mit dem Baselstab). Wie beim Verkauf vereinbart, verbreiterte und erhöhte Widmer die Durchfahrt um 2 Schuh (56 cm) und verschob sie an die Grenze zum Haus 31, „der gnädigen Herren Ziegelhof Behausung“. Diese Durchfahrt mit dem grossen grünen Tor zur Gasse und der Jahreszahl 1671 mit Baslerwappen zum Hof blieb bis heute erhalten. Das zugehörige Gebäude, das zwei „presthaften Häüszlin“ ersetzte, musste im 19. Jahrhundert einer umfassenden Neugestaltung weichen.

Der letzte Ziegel

Im Jahre 1692 wurde die Ziegelei von der Stadt an den damaligen Ziegler verkauft unter der Vereinbarung, dass dieser den Ziegelofen abbrechen solle. Die Ziegelproduktion im Ziegelhof war damit beendet.

Aber auch im 18. Jahrhundert wurde die Liegenschaft gewerblich genutzt. Die nächsten Besitzer waren mehrere Generationen von Zimmermeistern, auf die ein Metzger folgte und 1798 schliesslich der Wirt vom Gasthaus zur Sonne (heute Hotel Sonne an der Rheingasse 25). Dieser verwendete die Liegenschaft als Dépendance für sein Gasthaus.

Es muss sich um ein ziemliches Sammelsurium von Gebäuden gehandelt haben. Der Verkaufsvertrag umfasste nämlich die folgenden Punkte: „Behausung, Hoofstadt, Hoof, Garten, Scheunen, Stallungen, Holzschopf, Ziehbrunnen, Recht der Wasserleitung aus dem an der Utengasse herunterfliessenen Bach“.

Die Ära Lotz

1833 kaufte Seidenfärber Peter Friederich (genannt Friedrich) Lotz-Heusler (1785 – 1866) den Ziegelhof. Die Familie Lotz, schon seit Anfang des 16. Jahrhunderts in Basel eingebürgert, hatte schon vier Generationen früher im Seidenfärber Gewerbe Fuss gefasst. Der damals 48-jährige Friedrich Lotz hatte schon zuvor die Familientradition im Kleinbasel fortgeführt und kaufte den Ziegelhof nun für eine anscheinend dringend benötigte Vergrösserung seiner Arbeitsräume.

Deshalb liess er auch sofort im Hof auf der linken Seite ein zweigeschossiges Fabrikgebäude bauen, das 1834 in Betrieb genommen wurde. Das Gebäude steht noch heute ohne je grundlegende Änderungen erfahren zu haben.

Rheingasse 31
Fassade von Rheingasse 31 als Resultat der Erneuerung von 1839
Quelle: M. Ackermann
Quelle: M. Ackermann

Wenige Jahre später – 1839 – folgte eine Erneuerung des Wohnhauses zur Rheingasse, das ebenfalls sein heutiges Aussehen erhielt, innen so wie aussen. Die Seidenfärberei wurde gleichzeitig um ein Schwefelhaus und ein Kleinfarbhaus erweitert.

1846 wurde Friedrich Lotz zum Meister der E. Zunft zu Webern gewählt und behielt diesen Posten für die nächsten 17 Jahre. Dies kann man auch als Zeichen werten, dass Lotz ein angesehener und wohl auch erfolgreicher Vertreter seines Gewerbes war.

Achilles Lotz-Gocht

Im Brandlagerbuch von 1855 sind als Besitzer des Ziegelhofes zwei Söhne von Friedrich Lotz eingetragen, nämlich der 1813 geborene Achilles Lotz-Gocht und sein jüngerer Bruder Albert Lotz-Holzach (1822). Die beiden Brüder hatten aber vermutlich schon 1850 die Geschäfte von ihrem Vater übernommen und initiierten einen weiteren Wachstumsschritt der Unternehmung mit dem Bau einer zweiten Fabrikhalle auf der rechten Hofseite, also hinter dem Haus Rheingasse 33. Das Gebäude war ähnlich gestaltet wie die ältere Halle links, mit einem hohen langgestreckten Raum als „Farbhaus“ im Erdgeschoss und einer etwas niedrigeren „Tröcknestube“ im Obergeschoss.

1854 wurde die ältere Halle auf der linken Hofseite mit einer Gewölbe-Decke versehen. Da das Gewölbe keine tragende Funktion hat, diente es vermutlich als Schutz für das obere Geschosses vor dem Wasserdampf, der beim Färbeprozess auftritt. Im oberen Geschoss entstanden Zimmer und zu deren besserer Erreichbarkeit kam ein hölzernes Treppenhaus am hinteren Ende der Halle hinzu.

Das Haus 33, also das Wohnhaus zwischen der neuen Fabrikhalle und der Rheingasse, hatte sich das Lotz’sche Unternehmen schon zwischen 1851 und 1853 einverleibt. Im Jahre 1855 wurde es dann umfassend umgestaltet. Der hintere Teil, der bis an die Fabrikhalle reichte, musste einem Kesselhaus weichen. Der vordere Teil wurde grundlegend erneuert und an das bereits früher umgestaltete Haus 31 angeglichen. Damit hatte auch das Haus 33 sein heutiges Aussehen erhalten.

Aus dem Kesselhaus ragte ein Hochkamin, der 1869 schliesslich auf stattliche 38 Meter erhöht wurde.

Achilles Lotz-Trueb

Anfang der 1870er Jahre übernahm Achilles Lotz-Trueb [1845 – 1921], der Sohn von Achilles Lotz-Gocht die Führung des Unternehmens. Ihm gelang es die angrenzende Englin’sche Zimmerei zu erwerben, womit sich das Färberei-Areal bis etwa in die Mitte des heutigen Arbeitsamtes ausdehnte. Auf der zusätzlichen Fläche entstanden Shedhallen (Halle mit Sägezahndach).

Basler Waschanstalt Aktiengesellschaft

Im Jahre 1911 verkaufte Achilles Lotz die Gebäude Rheingasse 31 und 33 und Utengasse 32 - also den gesamten heutigen Ziegelhof - an die „Basler Waschanstalt Aktiengesellschaft“. Während 20 Jahren hat diese Firma im Ziegelhof ihren Sitz, bis sie am 26.3.1931 in Liquidation das Anwesen an die Einwohnergemeinde Basel für 180'000 Franken verkaufen musste.

Einwohnergemeinde Basel

Auch im Besitz der Einwohnergemeinde behielt der Ziegelhof seinen gewerblichen Charakter bei, denn die einzelnen Gebäudeteile wurden an Gewerbetreibende vermietet.

Unter den Mietern befand sich z. B. die damals in Basel noch als „Rhybrugg“ bekannte Manor, welche die Räumlichkeiten als Lager nutzte.

Der Gebäudeflügel auf der rechten Hofseite wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Schreinerei genutzt, zuerst von der Firma „Emil Lemblé Bau- und Möbelschreinerei“ bis 1995 und danach von der „Schreinerei Schlegel AG“.

Schlosserei Schild
Altes Werkstattschild vor dem Eingang der ehemaligen Schlosserei Urs Ackermann.
Quelle: M. Ackermann
Quelle: M. Ackermann

In der Färbereihalle auf der linken Hofseite quartierte sich nach 1960 die Schlosserei Robischon ein. Im Jahre 1979 übernahm dann Schlossermeister Urs Ackermann die Räumlichkeiten, der für seine zuvor an der Hardstrasse 129 gelegene Firma eine neue Unterkunft suchte.

Der grössten Teil der Liegenschaft, nämlich das Wohnhaus an der Rheingasse 31 und der erste Stock der dahinter liegenden Färbereigebäudes war ab 1942 an die Orientteppich-Handelsfirma Graf & Raaflaub AG vermietet. Nach deren Wegzug im Jahre 2002 standen diese Räumlichkeiten leer.

Stiftung Habitat

Da sich die Räumlichkeiten der Graf & Raaflaub AG nicht ohne grössere Investitionen weitervermieten liessen, beschloss die Einwohnergemeinde schliesslich die Häuser an der Rheingasse 31, 33 und an der Utengasse 32 zu verkaufen. Potentielle Käufer mussten im Rahmen einer Ausschreibung ein Projekt vorlegen, wie sie die Liegenschaft von der Gewerbe- in die Wohnnutzung umwandeln wollten.

Gewinner dieser Ausschreibung war die Stiftung Habitat. Diese Stiftung setzt sich für eine "lebensfreundliche und wohnliche Stadt ein“ und bietet unter anderem "Wohnungen für Musiker, für ältere Menschen und für Alleinerziehende" an. Das Projekt der Stiftung Habitat sah eine Nutzung des Ziegelhofs als Stiftungs-Sitz und als Wohnraum vor.

Im Jahre 2011 hat die Stiftung die Liegenschaft im Baurecht übernommen. Nachdem die verbleibenden Gewerbe-Betriebe (Schlosserei Urs Ackermann und Schreinerei Schlegel AG) auf Ende 2012 ausgezogen waren, starteten die Umbauarbeiten und wurden 2016 abgeschlossen. Seither ist das grüne Tor kein Hofzugang mehr, sondern - wie schon zu früheren Zeiten - ein Durchgang zur Utengasse. Dieser neue Fussweg wurde passenderweise "Färbergässlein" getauft.

Quellen